Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Gemeinsam für künftige Generationen

09.03.2020

Fünf Wochen nach dem formellen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) hat eine gemeinsame Lernveranstaltung des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) und der walisischen Regierung in Berlin gezeigt, dass der Wunsch nach einer walisisch-deutschen Zusammenarbeit im Bereich der Nachhaltigkeit ungebrochen ist.

Diskussion Future is now Event Berlin
Am Ende des eintägigen Workshops von IASS und der Regierung von Wales kamen Vertreter der künftigen Generationen beider Länder zusammen und spiegelten ihre Eindrücke des Tages. Mishan Wickremasinghe, Julian Bents, Kirsty James und Rebecca Freitag (v.l.n.r.).

Auftakt mit Workshop "Die Zukunft ist jetzt!"

Die Veranstaltung "Die Zukunft ist jetzt" brachte rund 70 Personen beider Länder zusammen, um ihre Erfahrungen mit der Umsetzung der SDGs zu teilen. Sie war der Auftakt einer geplanten Reihe von binationalen Workshops zum Thema Nachhaltigkeit und SDGs. Die Teilnehmenden tauschten ihr Wissen aus, um die Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft auszubauen und zu beschleunigen - als Antwort auf die Forderung des UN-Generalsekretärs nach einem "Aktionsjahrzehnt". Ihre gemeinsame Fragestellung lautete: Was können wir von denen lernen, die Dinge anders machen und wie können wir das bevorstehende Jahrzehnt nutzen, die Umsetzungslücke bei der nachhaltigen Entwicklung in Europa zu schließen?

Die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) umzusetzen, ist für alle Länder eine Herausforderung. Wales hat sich mit seinen rund drei Millionen Einwohnern bereits auf den Weg gemacht und vor fünf Jahren als erstes Land der Welt ein Gesetz zur Unterstützung der Umsetzung der Agenda 2030 verabschiedet. Während Wales diesen "Future Generations Act 2015" hat, besitzt Deutschland bislang lediglich seine Nachhaltigkeitsstrategie - ohne gesetzliche Bindung.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand daher der walisische "Well-being of Future Generations Act 2015", von dem Deutschland lernen kann. Dieses Gesetz, das in einem öffentlichen Konsultationsprozess zum Thema "The Wales We Want" erarbeitet wurde, zielt darauf ab, die nachhaltige Entwicklung zum zentralen Organisationsprinzip der Regierungsführung in Wales zu machen. So ist die walisische Regierung verpflichtet, nach jeder Wahl einen Bericht über die Zukunftstrends zu veröffentlichen, in dem die geplante Politik im Lichte künftiger Entwicklungen betrachtet und begründet wird.

Zur Sprache kamen an dem Tag aber auch Themen wie die Entwicklung der Meeresenergie in Wales und die Energiewende in Deutschland, die Reaktionen auf die Transformation nach der Kohleverstromung in der Lausitz und in Südwales sowie das Konzept der Wohlstandswirtschaft.Nach der Eröffnung der Konferenz durch Jakob Meyer, administrativer Direktor am IASS, und der Keynote durch den Ersten Minister von Wales, Mark Drakeford über eine Videobotschaft, übernahm die Begrüßung Jane Davidson (im Video 1), emeritierte Vizekanzlerin der Universität von Wales und seit 2017 assoziiertes Fakultätsmitglied von Harvard. Sie war diejenige, die als Ministerin für Umwelt und Nachhaltigkeit von 2007 bis 2011 in Wales den Wellbeing of Future Generations Act als Gesetzesentwurf vorlegte, der Nachhaltigkeit zum zentralen Organisationsprinzip der Regierung machte. Sie rief außerdem eine walisische Kommission für den Klimawandel und eine Kommissarin für künftige Generationen ins Leben.
 

Ich hoffe, Sie alle heute sind bereit für eine 'Revolution', denn noch sind wir nicht weit genug gekommen. Jedoch dieser Lern-Tag soll das fördern.
Jane Davidson, Pro Vice-Chancellor Emeritus, University of Wales

Sie bezog sich auf Professorin Donella Meadowes, die Anfang der Siebziger Jahre das Buch „The Limits to Growth“ herausbrachte - verfasst von ihr und weiteren Autoren im Auftrag des "Club of Rome". Diese schlussfolgert, Gesellschaften müssten fünf Schlüsselfaktoren besitzen, um langfristig zu überleben: Visionen zu haben, Netzwerke zu pflegen, beständig zu lernen, Nächstenliebe und bei der Wahrheit zu bleiben. „Jedes dieser fünf Elemente entwickele eine Eigendynamik. Ihre beharrliche Anwendung durch eine relativ kleine Gruppe von Menschen - Wales - hätte daher das Potenzial, enorme Veränderungen zu bewirken, das gegenwärtige System in Frage zu stellen und vielleicht gar eine Revolution in Gang zu bringen“, zitierte Davidson aus einem der Bücher von Meadowes.

Sehen Sie den Mitschnitt vom Workshop mit Amelia John, Mark Drakeford und der Rede von Jane Davidson:

Medien

The Future Is Now: Opening with Jane Davidson (Video 1)

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Amelia John (zu sehen ebenfalls in Video 1) von der walisischen Regierung wiederum beschrieb, wie das Gesetz die 17 SDGs in sieben für den walisischen Kontext spezifische Ziele umsetze. Anstatt sich auf eine abstrakte Definition von Nachhaltigkeit zu stützen, werden fünf konkrete Wege formuliert, um besser für Entscheidungsträger zu funktionieren, indem sie „die Herzen und Köpfe der Menschen ansprechen“. Die Bedeutung einer emotionalen Verbindung mit dem Ziel der Nachhaltigkeit wurde im Laufe des Tages auch von anderen Rednern betont. 

Nachhaltigkeit muss zu unserer DNA werden.
Rebecca Freitag, der ehemaligen UN-Jugenddelegierten für nachhaltige Entwicklung (zu sehen unten in Video 4)

Was hat das Gesetz in den fünf Jahren seit Einführung erreicht?

Die Kommissarin für künftige Generationen, Sophie Howe (zu sehen in Video 3), sprach über ihre Rolle als „kritische Freundin“ der walisischen Regierung, die befugt sei, ihre Arbeit zu überwachen, um sicherzustellen, dass die guten Absichten des Gesetzes vor Ort Wirkung zeigten. So verfolgt sie beispielsweise genau, wie die fünf Milliarden Pfund, die für die Umgestaltung des Schienenverkehrs in Wales bereitgestellt werden, für die sieben Ziele ausgegeben werden. Das Gesetz habe dazu geführt, dass ökologische und soziale Belange in diesem Prozess in den Vordergrund gerückt wurden, mit der Verpflichtung, Emissionen zu reduzieren und Möglichkeiten für soziale Unternehmen zu schaffen.

Der Einfluss des Gesetzes zeige sich aber genauso in der verstärkten Einbeziehung „ungewöhnlicher Verdächtiger" in Entscheidungsprozesse. So ist nun statt eines typischen Stadtplaners ein Experte für öffentliche Gesundheit für die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur von Cardiff zuständig. Folglich spielen nachhaltige Verkehrsmöglichkeiten, einschließlich Fahrrad-Superstraßen, eine herausragende Rolle in den Plänen für das zukünftige Verkehrssystem der Stadt.

Sehen Sie den Mitschnitt vom Workshop mit Sophie Howe:

Medien

The Future is now: Integrated Approaches to Transformation with Sophie Howe (Video 3)

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Workshop-Sitzungen in kleineren Gruppen zu Spezialthemen

In kleineren Gruppen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann einzelne Themen wie etwa „Individuelles und kollektives Handeln“ in zwei (ehemaligen) Kohleabbaugebieten in Deutschland und Wales. IASS-Wissenschaftler Johannes Staemmler sprach über die Kluft zwischen Realität und Anspruch in der Lausitz, einer Region, die im Begriff ist, ihre Braunkohleindustrie abzubauen. Diese Gegend wird im Zusammenhang mit dem Ausstieg Deutschlands aus der Kohleförderung als "Modellregion für den Wandel" bezeichnet.

Inspiration von walisischer Seite kam vom Skyline-Projekt in ehemaligen Bergbaugebieten in den Südwales. Am Beispiel der Stadt Treherbert beschrieb Projektleiter Chris Blake, wie die Menschen aller Altersgruppen in die Pläne zur Entwicklung der öffentlichen Grundstücke um ihre Stadt herum einbezogen wurden. In partizipatorischen Prozessen, die weit über Konsultationen hinausgingen, wurden sie befähigt, die Zukunft ihres Ortes aktiv zu gestalten. Blake hob die Rolle des Erinnerns hervor. Mit Hilfe von Künstlern rekonstruierten die Bewohner von Treherbert die Vergangenheit der Stadt und bekräftigten damit ihre Identität. Ihre kollektiven Erinnerungen wurden zur Grundlage für eine positive Vision der Zukunft der Stadt.

Immer wiederkehrendes Thema wie bei der Stadt Treherbert: das Narrativ – die Geschichte, die erzählt wird. Aber auch der neue Dialog, der zwischen den beiden Ländern aufgenommen, gefördert und intensiviert werden soll. Kein Wunder also, dass der walisische Nationalpoet Ifor ap Glyn ein Narrativ aufgriff mit einem Schmunzeln begleitet mit diesem Zitat:

Wasch‘ mir den Pelz, aber mach‘ mich nicht nass.
Verlang‘ ich den Segen doch ohne zu geben.
Ifor ap Glyn

Zugleich zeige die Stadt Treherbert aber auch, wie wichtig die Perspektive und der Einfluss der Zivilgesellschaft zu nehmen ist. „Die staatliche Regierungsführung wird derzeit massiv erschüttert“, sagte Rupert Graf Strachwitz von der Maecenata Stiftung in seinem Impulsvortrag – allerdings würden viele in den Regierungen das noch nicht realisieren, sie meinten nach wie vor, sie säßen noch im Fahrersitz. Viele verschiedene „Spieler“ würden sich engagieren und es gehe nun darum, all diese Verschiedenen einzubinden. Leider verändere sich gerade der europäische Staatenbegriff – und zugleich bekäme die Zivilgesellschaft ein immer stärkeres Gewicht. Wo aber sind die Beschränkungen der Zivilgesellschaft, das müsste genauer betrachtet werden, so Graf Strachwitz. „So hat die Gesellschaft sehr viele gute Ideen und ohne bürgerschaftliches Engagement geht es nicht, aber die Regulierung und Umsetzung, das ist nicht Aufgabe der Zivilgesellschaft.“

Sehen Sie den Mitschnitt vom Workshop mit dem walisischen Nationalpoeten Ifor ap Glyn und Rupert Graf Strachwitz:

Medien

The Future is now: Civil Society Perspectives with Ifor ap Glyn (Video 2)

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Abschlussdiskussionen am Ende des eintägigen Workshoptages

Jane Davidson eröffnete schließlich die beiden großen Diskussionsrunden zu den „Learnings“ des Tages mit der Frage: Kann uns in Anbetracht von Klimawandel und Coronavirus der in die Zukunft gerichtete Blick, worüber wir den ganzen Tag gesprochen haben, dabei helfen, diese großen aktuellen Krisen zu lösen?


Sehen Sie sich die Diskussionsrunden hier an:

Medien

The Future is now: Speaker Panel Discussion and Future Leaders’ Feedback (Video 4)

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Kontakt

Sabine Letz

M. A. Sabine Letz

Referentin Presse
sabine [dot] letz [at] rifs-potsdam [dot] de
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